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Autor
Klaus Jacob

Drei Jahrzehnte Forschung für die Reinheit

Ultraschall-Präzisionsreinigung von Bauteilen in einem Reinraum der Luftreinheitsklasse ISO 1.
Ultraschall-Präzisionsreinigung von Bauteilen in einem Reinraum der Luftreinheitsklasse ISO 1.
Satellit
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Verbrauchsmaterialien
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Dr.-Ing. Udo Gommel
Dr.-Ing. Udo Gommel

Alles fing mit einer Waschanlage für Autos an. Eine IPA-Abteilung war gerade dabei, diese Anlage zu optimieren, als eine Anfrage aus dem Bundesministerium für Forschung und Technologie kam, ob sich das Institut nicht mit Reinraumtechnik befassen könne. Das war vor 30 Jahren, als die Blütezeit der Heimcomputer begann und die Schaltkreise so klein wurden, dass Schmutzpartikel immer mehr Probleme machten. Der damalige Institutsleiter Prof. Rolf Dieter Schraft meinte augenzwinkernd, wer Autos reinige, könne auch Halbleiter sauber bekommen. Also stieg die Abteilung, deren Leiter ausgerechnet Wolfgang Schmutz hieß (sein Slogan: »Gib Schmutz keine Chance«), mit staatlichen Fördermitteln in die Reinheitstechnik ein. Zunächst hatte sie nur 6 Mitarbeiter, heute sind es 50.

Treiber Miniaturisierung

Seit diesen Anfängen wuchs die Abteilung stetig, etwa alle 5 Jahre folgte ein umfangreicher Um- und Ausbau. Getrieben wurde die Expansion von den Entwicklungen in der Technik. Die zunehmende Miniaturisierung von elektronischen und mechanischen Bauteilen ließ die Anforderungen an die Reinheit immer stärker wachsen. Das IPA hat diesen Prozess nicht nur begleitet, sondern wesentlich beeinflusst. Seine Stärke ist seine Vielseitigkeit: Die Abteilung verfügt nicht nur über den weltweit größten Forschungsreinraum der ISO-Klasse 1, in dem man Bauteile fast jeder Größe reinigen kann, sondern auch über hochpräzise Geräte zur Validierung der Arbeiten. »Die Kombination von Reinigen und Bewerten ist einzigartig«, sagt Udo Gommel, der umtriebige Leiter der Abteilung »Reinst- und Mikroproduktion«.

Highlights

Der studierte Physiker arbeitet seit 20 Jahren am IPA und leitet seit 8 Jahren die Abteilung. Im Rückblick fallen ihm mehrere Höhepunkte ein. Etwa das Engagement in Rumänien. Die Stuttgarter bauten für die Firma Microelectronica eine Fertigungsanlage für LEDs auf, von der Konzeption bis zur Inbetriebnahme. Im September 2012 fiel der Startschuss. Die ungewöhnlichen äußeren Umstände erwiesen sich dabei als die größte Herausforderung: Die Hightech-Anlage sollte in einem verfallenen Fabrikgebäude aus den Zeiten des Kalten Kriegs entstehen. »Im Keller stand brusthoch das Wasser«, erinnert sich Gommel. Und ausgerechnet dieses feuchte Kellerloch, ein Brutplatz für Schimmel und andere Verunreinigungen, war für die Reinräume vorgesehen. Für die Fertigung genügte zwar die ISO-Klasse 8, doch daneben war ein Analyselabor mit wesentlich höheren Anforderungen geplant. Es sollte der ISO-Klasse 1 genügen, zehn Millionen mal sauberer als in der Fertigung. Die Schwaben haben es schließlich geschafft, die feuchten Kellerbereiche in einen Reinraum zu verwandeln. In dem hochreinen Analyselabor steht heute ein Computertomograph von der Größe eines Kleiderschranks – einzigartig in der Welt.

Wie entscheidend saubere Arbeitsbedingungen für den wirtschaftlichen Erfolg inzwischen geworden sind, zeigt ein Beispiel aus der Automobilbranche. Ein international tätiger Zulieferer ließ sich von den IPA-Experten ein umfangreiches Reinheitskonzept erstellen. Dessen Umsetzung reduzierte den Ausschuss um 55 Prozent. Das ergibt, entsprechend der hohen Stückzahlen, eine Kostenersparnis von rund einer Million Euro pro Jahr.

Raumfahrt

Zu den Highlights des Instituts gehört auch der Einstieg in die Raumfahrt. Nachdem jahrelang die Industrieproduktion im Fokus stand, sorgte ein Zufall für das neue Betätigungsfeld. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA fragte 2009 an, ob die Stuttgarter Experten in der Lage seien, Komponenten einer Mars-Sonde zu sterilisieren. Mikroben abzutöten gehörte zwar nicht zu ihrem Leistungsumfang, aber sie boten stattdessen eine Reinigung an. Gommel hatte damals wenig Hoffnung, sich gegen die etablierte Konkurrenz durchsetzen zu können. Doch er bekam den Zuschlag. Denn beim Sterilisieren, ob mit Chemikalien oder mit Wärme, bleiben tote Mikroorganismen zurück, eine gründliche Reinigung macht dagegen »tabula rasa«, und das sehr schonend.

Die Luft-und-Raumfahrt-Sparte hat seitdem in Stuttgart die Forschung kräftig angeschoben, denn hier sind die Anforderungen besonders streng. Derzeit laufen fast zwei Dutzend Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Highlights sind »ExoMars« der Europäischen Weltraumorganisation ESA sowie die Satellitenmission »EnMap«. Mit einem zuverlässigen Industriepartner ist aktuell sogar eine strategische Partnerschaft für die nächsten Jahre geplant. Vom Erdbeobachtungssatellit »EnMap« hat das Institut fast sämtliche 13.000 Teile gereinigt, darunter einen vier Zentner schweren Aluminiumblock. Für das Schwergewicht mussten die Mitarbeiter sogar eigens einen temporären Reinraum von der Größe eines kleinen Wohnhauses bauen – unter erheblichem Zeitdruck.

Das Mars-Projekt unter der Ägide der ESA war noch anspruchsvoller, denn die Sonde, die am 14. März gestartet ist, sucht nach Spuren von Leben auf dem Nachbarplaneten. Um keine Falschmeldungen zu senden, dürfen keinerlei organische Substanzen von der Erde mitgeschleppt werden. Das erhöht die Anforderungen an die Reinheit zusätzlich. Ein sehr schonendes Reinigungsverfahren, das in Stuttgart entwickelt wurde, hat sich dabei besonders bewährt: das CO2-Schneestrahlverfahren. Ursprünglich wurde es in den USA genutzt, um Lack von Flugzeugrümpfen zu entfernen. Die IPA-Experten haben es zu einem Verfahren mit höchster Reinigungseffizienz verfeinert. Anstatt harter CO2-Pellets verwenden sie kleinere und weichere Schneekristalle. Verunreinigungen werden dabei durch den Temperaturschock versprödet, lösen sich ab und können abgesaugt werden. Um die Eindringtiefe zu erhöhen, beschleunigt umhüllender Stickstoff den Strahl auf Überschallgeschwindigkeit. Eine weitere Innovation, erst kürzlich entwickelt, ist die Verwendung von überkritischem Kohlendioxid. So können z.B. Innenseiten von Schlauchleitungen mit geschlossenen Hohlräumen gereinigt werden, indem sie mit einem Überdruck von 70 bar gespült werden.

Sauberkeitsnormen und Richtlinien

Die Stuttgarter »Saubermänner« helfen nicht nur Unternehmen bei allen kniffligen Fragen der Reinheitstechnik. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Mitarbeit beim Erstellen von Normen und Richtlinien. Mit ihrem umfangreichen Gerätepark, der noch die kleinsten Verunreinigungen vermessen und bewerten kann, sind sie dafür bestens gerüstet. Viele Gremien im In- oder Ausland, die sich mit Sauberkeit beschäftigen, werden von IPA-Mitarbeitern unterstützt. Ob es um das Design eines Reinraums oder um die Klassifikation von Oberflächenreinheit geht, die Stuttgarter sind dabei. Und nicht nur das – die Abteilung hat sogar ein eigenes Prüfsiegel.

»Fraunhofer TESTED DEVICE«

Das Logo »Fraunhofer TESTED DEVICE« ist überall auf der Welt bekannt und geschätzt, von Deutschland bis Australien. Kunden können einzelne Teile oder ganze Anlagen, die in einem Reinraum verwendet werden, vom Kabel bis zum Roboter, auf ihre Reinraumtauglichkeit testen und zertifizieren lassen. Dabei geht es, je nach Problemstellung, um unterschiedliche Kriterien, sei es Partikelabgabe oder Ausgasungen, Chemikalienbeständigkeit oder Reinigbarkeit. Der Kunde erhält neben der Urkunde einen ausführlichen Prüfbericht. Mehr als 1.700 Produkte aus zahlreichen Branchen, von der Elektronik sparte bis zur Lebensmitteltechnik, hat das IPA in den letzten 16 Jahren untersucht. Jedes Jahr kommen mindestens 100 hinzu.

Standards durch Industrieverbünde

Obwohl es in der Reinheitstechnik schon viele international gültige Standards gibt, gibt es immer noch Grauzonen. Das IPA will das ändern. Es hat zwei Konsortien mit Vertretern aus Industrie und Forschung ins Leben gerufen, die für eine weitere Vereinheitlichung sorgen sollen. Bei der ersten geht es um Verbrauchsmaterialien, die in Reinräumen verwendet werden, etwa Overalls, Handschuhe oder Wischtücher. Obwohl diese Wegwerfartikel durch Abrieb oder Ausgasungen Verunreinigungen verursachen können, fehlen bisher verlässliche Regeln, wie sie beschaffen sein müssen. Der Industrieverbund »Cleanroom Suitable Consumables« soll Standards setzen. Gleichermaßen wichtig ist der zweite Industrieverbund, der sich mit medizintechnischen Produkten wie Implantaten und Spritzen beschäftigt. Denn Verschmutzungen können bei Patienten zu Infektionen oder Abstoßungsreaktionen führen. Der Verbund »MediClean« soll für die nötige Sicherheit sorgen, auch bei Medizintechnikunternehmen, die letztlich für ihre Produkte haften.

Wissenstransfer über Schulungen

Das IPA gibt sein Know-how, das es in drei Jahrzehnten erworben hat, in Schulungen weiter. Seit 2005 wurden rund 2500 Personen mit Reinheitstechniken vertraut gemacht, teilweise in den Stuttgarter Institutsräumen, teilweise bei Vorort-Schulungen in den jeweiligen Unternehmen. Seit 2011 bekommen die erfolgreichen Absolventen ein QMC-Zertifikat (Qualitäts Management Center) nach VDA-Standard.

IPA-Experte Gommel ist überzeugt, dass die Reinraum-Abteilung in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Denn die zunehmende Miniaturisierung führt zu immer höheren Anforderungen bei der Reinraumtechnik. »Wir sehen kein Ende der Entwicklung«. Auch die Herausforderungen, die mit Industrie 4.0 einhergehen, sind ohne die Hilfe einer staubfreien Umgebung nicht zu stemmen.


fraunhofer_IPA
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Nobelstraße 12
70569 Stuttgart
Deutschland
Telefon: +49 711 970 1667
eMail: joerg-dieter.walz@ipa.fraunhofer.de
Internet: http://www.ipa.fraunhofer.de


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